Epigenetik und Stress: Maus-Forschung für den Menschen

Traumatisierungen, Vernachlässigung oder schwere Gewalterfahrungen in früher Kindheit können die spätere Reaktion von Menschen auf Stress nachhaltig verändern. Das beeinflusst auch das Risiko für psychische Krankheiten. Epigenetische Prozesse spielen dabei eine zentrale Rolle: Sie verändern beispielsweise das Muster der Methylgruppen an der DNA und damit die Aktivierbarkeit bestimmter Gene in bestimmten Zellen oder Organen. So prägt die Epigenetik auch die sogenannte Stress-Achse, also das System, mit dem der Körper auf psychische Belastungen aller Art antwortet.

Vor allem bei Nagetieren werden diese Zusammenhänge seit Jahren intensiv erforscht. Angestoßen hat die Forschung der Kanadier Michael Meaney, der mit seinem Team schon Anfang der 2000er Jahre die Epigenetik bei sogenannten non licking rats untersuchte, also bei Ratten, die in den ersten Tagen nach der Geburt ihres Nachwuchses bei diesem keine ausreichende Fellpflege machen.

Damals reifte die bahnbrechende Erkenntnis, dass Phänomene wie übertriebene Ängstlichkeit, Antriebslosigkeit oder Aggressivität, die bei Versuchstieren einer Abstammungslinie immer wieder auftreten, keine genetische Ursache haben müssen. Stattdessen entstehen sie oft aus der epigenetisch vermittelten Interaktion aus Erbe und Umwelt und werden in jeder Generation neu geprägt.

Doch „mice tell lies“ – Mäuse lügen, so ein berühmter Spruch, der ausdrückt, dass Resultate aus Nagetieren meist nur schwer auf den Menschen übertragbar sind. Außerdem ist das Zusammenspiel von Epigenetik, Umwelt und Genetik kompliziert. Deshalb gibt es bis heute keine klinische Anwendung der beobachteten Phänomene, etwa in Form eines Medikaments oder einer gezielt epigenetisch wirksamen Psychotherapie, die Menschen vor den negativen Folgen eines Traumas oder anderer außergewöhnlicher psychischer Belastungen schützen könnten.

Das Team um Elisabeth Binder vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie in München möchte das jetzt ändern. Sie erforschen schon lange ein Gen namens FKBP5. Es spielt eine wichtige Rolle in der Stress-Achse des Menschen und wird zudem durch prägende Erlebnisse in der Kindheit, die die Epigenetik verändern, mehr oder weniger stark abgelesen. Substanzen, die an FKBP5 oder seiner Regulation ansetzen, gelten als vielversprechende Kandidaten für eine neue Generation von Psychopharmaka.

Jetzt haben Binder und Kollegïnnen eine spezielle Linie von Mäusen daraufhin getestet, ob sie vielleicht etwas weniger „lügen“ als gewöhnliche Labortiere – und dabei einen wichtigen Erfolg verzeichnet.

Den Mäusen war mit Hilfe der Gentechnik anstelle ihres eigenen FKBP5 die menschliche Variante eingesetzt worden. Beide unterscheiden sich vor allem in Abschnitten, an denen epigenetische Strukturen ansetzen. Deshalb waren in der Maus gewonnene Erkenntnisse über das epigenetisch vermittelte „Gespräch aus Erbe und Umwelt“ (Rudolf Jaenisch) bei der Stressreaktion bislang kaum übertragbar.

Jetzt gelang dem Münchner Team der Nachweis, dass die neuen, humanisierten Mäuse an diesem DNA-Abschnitt epigenetisch fast genauso aussehen und auf Stresshormone reagieren wie Menschen. Das gilt für vergleichsweise leicht zu erhaltende Immunzellen im Blut, und noch mehr sogar für Zellen aus dem Gehirn, die beim lebenden Menschen nicht zugänglich sind. Für die Experimente wurden Gehirnzellen von 86 zuvor verstorbenen Menschen analysiert.

„Damit ist die humanisierte FKBP5-Maus als Modellorganismus geeignet, um stress-assoziierte biologische Mechanismen im Gehirn weiter zu untersuchen und spezifisch zu modulieren“, sagt Natan Yusupov, der Erstautor der Studie laut einer Pressemitteilung.

Das Team möchte nun herausfinden, wo genau im Gehirn die epigenetischen Veränderungen passieren und welche Arten von Nervenzellen in die Prägung involviert sind. Elisabeth Binder ist gespannt: „Wir werden weiter die molekularbiologischen Mechanismen erforschen, damit ein FKBP5-Blocker irgendwann idealerweise therapeutisch angewendet werden kann.“